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Gerichte entscheiden über exotische Arbeitsunfälle

Wie sehr die Beurteilung eines Unfalls von den Umständen des Einzelfalls abhängt, zeigen mehrere aktuelle Urteile.

Die meisten Unfälle, die während der Arbeit passieren oder zumindest einen Bezug zur Arbeit haben, gelten als Arbeitsunfälle. Dann kommt in der Regel die gesetzliche Unfallversicherung für die Folgen des Unfalls auf. Allerdings ist die Frage, ob tatsächlich ein Arbeitsunfall vorliegt, nicht immer so eindeutig zu beantworten. In den letzten Wochen haben sich mehrere Gerichte mit etwas kurioseren Fällen befasst und dabei mal zugunsten des Opfers, aber ebenso auch gegen die Annahme eines Arbeitsunfalls entschieden. So schätzen die Gerichte die ihnen vorliegenden Fälle ein:

  • Impfschaden: Eine Krankenschwester nahm an einer von der Klinik dringend empfohlenen Impfung gegen die Schweinegrippe teil und erkrankte daran so schwer, dass sie mittlerweile eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht. Die Unfallkasse sah darin keinen Arbeitsunfall, weil das Bundessozialgericht schon vor 40 Jahren entschieden hat, dass Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen seien. Außerdem sei die Impfung freiwillig gewesen.

    Dieser Auffassung hat sich das Sozialgericht Mainz aber nicht angeschlossen, sondern die Impfung als Arbeitsunfall eingestuft. Im damaligen Fall ging es schließlich um eine normale Angestellte, die keiner besonderen Gefährdung ausgesetzt gewesen war. Die Krankenschwester sei aber durch ihren Beruf einem erhöhten Risiko ausgesetzt. Außerdem hatte die Ständige Impfkommission eine Impfempfehlung für Beschäftigte im Gesundheitsdienst ausgegeben, auf die sich die Klinik beim Anbieten der Impfung auch berief. Das Gericht meint daher, dass unter diesen Umständen ein sachlicher Zusammenhang zwischen der Tätigkeit als Kinderkrankenschwester und der Impfung anzunehmen sei, zumal das Bundessozialgericht schon in seiner damaligen Entscheidung bereits darauf hingewiesen hat, dass bei einer besonderen beruflichen Gefährdung eine Impfung durchaus einen Arbeitsunfall begründen könne.

  • Knieschuss: Der Überfall auf einen Beschäftigten in seinem Home-Office stellt nur dann einen Arbeitsunfall dar, wenn ein Zusammenhang zur betrieblichen Tätigkeit besteht, meint das Sozialgericht Dresden. Der Kläger arbeitete als Mitarbeiter einer Bausparkasse in seinem Home-Office im eigenen Haus. Im März 2007 wurde er dort von zwei Männern mit einer Pistole bedroht. Im Schlafzimmer schossen ihn die Täter in beide Kniegelenke. Danach verließen sie das Haus, ohne Wertsachen mitzunehmen. Der Polizei gab der Kläger an, bei dem Überfall sei es um Streitereien um Fördermittelzusagen von einer Million Euro an einen Verein gegangen, für den der Kläger privat als Berater tätig war.

    Es ist daher wenig überraschend, dass die Berufsgenossenschaft den Antrag auf Anerkennung des Überfalls als Arbeitsunfall abgelehnt hat, weil der Überfall auf private Gründe zurückzuführen sei. Dem hat sich das Sozialgericht Dresden angeschlossen, denn ein abhängig Beschäftigter steht bei einem vorsätzlichen tätlichen Angriff nur dann unter Versicherungsschutz, wenn der Angriff aus betriebsbezogenen Motiven erfolgt. Die Motive der Täter waren hier aber am ehesten auf die private Tätigkeit des Klägers als Berater für einen Verein zurückzuführen. Es spielt dann keine Rolle, dass der Überfall zufällig während seiner Tätigkeit als Versicherungsangestellter erfolgte.

  • Vergewaltigung: Auch eine Vergewaltigung auf dem Weg zur Arbeit ist nicht zwingend ein Arbeitsunfall. In diesem Fall wurde eine Schulangestellte vor ihrem Haus von ihrem Ex-Freund vergewaltigt. Zwar geschah die Tat auf dem Weg zur Arbeit und könnte damit eigentlich als Arbeitsunfall gelten. Allerdings ist das Bundessozialgericht der Ansicht, dass hier die persönliche Beziehung zwischen Täter und Opfer prägend für das Verbrechen war. Der Anwalt der Frau argumentierte zwar, dass sich der Ex-Freund nur auf dem Arbeitsweg an ihr habe vergehen können, weil sie sonst nicht allein gewesen sei. Doch die Richter ließen dieses Argument nicht gelten: Es müsse abgewogen werden, welche Ursache wesentlich sei, und hier sei es nun einmal die frühere Beziehung gewesen.

  • Eisessen: Passend zur Jahreszeit kommt noch ein Urteil des Sozialgerichts Heilbronn, das eine Erfrischungspause mit Eis am Stiel als Arbeitsunfall anerkannt hat. An einem besonders heißen Sommertag nutzte der verunglückte Kfz-Mechaniker den Leerlauf des Montagebands, um sich an einem Kiosk in der Nähe der Montagehalle ein Eis zu holen, das er dann im Schatten direkt vor der Halle schleckte. Als ein Kollege während der Erfrischungspause die Tür aufriss, erlitt der Mechaniker schwere Verletzungen am Fuß.

    Die Berufsgenossenschaft wollte hier nicht zahlen, denn das Eisessen habe nicht dazu gedient, die Arbeitskraft des Mechanikers zu erhalten. Schließlich hätte er sich auch am Arbeitsplatz mit kostenlosen Getränken erfrischen können. Außerdem habe sich der Unfall lediglich eine knappe Stunde nach der Mittagspause des Mechanikers ereignet. Das Sozialgericht hat die Berufsgenossenschaft nun aber verpflichtet, den Unfall vor der Halle als Arbeitsunfall anzuerkennen. Entscheidend sei, dass der Mechaniker sich nicht nur von seinem Arbeitsplatz entfernt habe, um sich ein Eis zu holen, sondern auch deshalb, weil er ohne "Luftschnappen" aufgrund der Hitze in der Halle und der dortigen schlechten Raumluft seine schwere körperliche Arbeit bis zum Schichtende gar nicht durchgehalten hätte.